„Heute wieder. Antimuslimischer Rassismus in Deutschland“, 17.09.2020 Livestream aus dem dbb forum Berlin
Berlin, 17.09.2020
Pünktlich um 13.00 Uhr begrüßt Rima Hanano von CLAIM über 130 Zuschauer*innen zuhause an den Bildschirmen, die für die nächsten 2,5 Stunden die Auftaktveranstaltung via Livestream mitverfolgen werden. Das Ziel der Live-Veranstaltung ist die Vorstellung der Akteur*innen des im Januar 2020 gegründeten Kompetenznetzwerks und dessen Zielen und Aufgaben als Teil des BMFSFJ-Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Um den gesellschaftspolitischen Kontext zu erläutern, in dem sich das Kompetenznetzwerk bewegt, kommen in den ersten beiden Fachgesprächen Wissenschaftler*innen und von Antimuslimischem Rassismus Betroffene zu Wort, die die Herausforderungen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten.
Vor den zwei thematischen Panels begrüßt der parlamentarische Staatssekretär Stefan Zierke die Zuschauer*innen mit einem Grußwort, das er stellvertretend für Bundesfamilienministerin Dr. Giffey hält. Im Anschluss daran beschreiben die ersten Panelist*innenen Prof. Kai Hafez, Lamya Kaddor und Ozan Zakariya Keskinkılıç die massive Verbreitung islamfeindlicher Einstellungen in der Bevölkerung und die Reaktivierung feindlichen Gedankenguts durch rechte und rechtspopulistische Bewegungen in den vergangenen Jahrzehnten.
Prof. Kai Hafez führt dazu aus: „Wir haben ein recht konstantes Niveau von 50% und mehr der deutschen Bevölkerung, die gravierende Ängste, Abneigungen, Aversionen gegenüber dem Islam haben. (…) Wir haben über Jahrzehnte ein schlummerndes Feindbild als Giftmischung innerhalb unserer Gesellschaft gehabt, das keiner sehen wollte.“ Dieser Befund schließt auch die Haltung Jugendlicher in weiten Teilen mit ein. Denn obwohl „Jugendliche grundsätzlich diversitätsoffener“ seien, wie Lamya Kaddor ausführt, „wird von ihnen der durchweg negativ geführte Islam-Diskurs übernommen.
Was man jedoch sehen kann ist, dass Jugendliche stark zwischen der Bewertung des Islams und von Muslim*innen unterscheiden.“ Als eines der Symptome Antimuslimischen Rassismus benennt Ozan Zakariya Keskinkılıç den „Dualismus zwischen <deutsch> und <muslimisch>“, der so „normalisiert ist, dass er uns inzwischen gar nicht mehr auffällt.“ In Bezug auf die deutsche Forschungslandschaft fordert er eine neue Haltung: Man müsse den „Rassismus als eine Struktur verstehen, die Menschen bildet und auf jeder Ebene formt – gleichermaßen diejenigen, die ihn produzieren und die, die von ihm betroffen sind.“
Am zweiten inhaltlichen Panel „Perspektiven der Zivilgesellschaft“ nehmen Aiman Mazyek, Gabriele Boos-Niazy, Ouassima Laabich-Mansour und Murat Gümüş teil, um die Auswirkungen von Islamfeindlichkeit und Antimuslimischem Rassismus auf Betroffene zu thematisieren. So schildert Ouassima Laabich-Mansour, dass junge muslimische Frauen ihrer Berliner Jugendverbands-Gruppe in erschreckender Regelmäßigkeit von Bedrohungen auf Leib und Leben berichteten.
Gabriele Boos-Niazy vom Aktionsbündnis muslimischer Frauen ergänzt aus ihrer Perspektive die fehlende Sichtbarkeit muslimischer Menschen als Bürger*innen und Angestellte, deren Haltungen ebenfalls relevant seien. Dies zeige sich sowohl in Diskursen um „Ängste der Bevölkerung“, bei denen die der Muslim*innen nie gemeint seien, als auch in Gesetzgebungsverfahren wie beispielsweise jenen um das Koptuchverbot. Ganzen Generationen an Frauen* werde durch Gesetze wie das Berliner Neutralitätsgesetz die Chance auf ein gelingendes Berufsleben ihrer Wahl genommen.
Murat Gümüş, Generalsekretär des Islamverbands Millî Görüş, berichtet aus seinen Verbandsstrukturen, wie verbreitet Diskriminierungserfahrungen unter muslimischen Jugendlichen seien. Es sei von enormer Bedeutung, dass diese Ausgrenzungserfahrungen von ihnen einmal artikuliert werden könnten und damit anerkannt, bevor sie weiter in ihrem gesellschaftlichen Engagement empowert werden könnten.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, betont in seinen Ausführungen, dass es eine Frage der Stabilisierung nicht weniger als des gesamten demokratischen Systems sei, wenn sich Menschen gegen Antimuslimischen Rassismus stark machten, da dieser sämtliche Freiheitsrechte dieser Gesellschaft bedrohe, und verdeutlichte damit die gesamtgesellschaftliche Dimension von Rassismen.
Zum Abschluss der Veranstaltung stellen sich die drei Partnerorganisationen im Kompetenznetzwerk mit ihren fachlichen Schwerpunkten im Gesamtgefüge vor. Rima Hanano von CLAIM, Jule Wagner von ZEOK und Onna Buchholt von der aej skizzieren die Aufgaben und Maßnahmen des Kompetenznetzwerks, das künftig die aktuellen Erscheinungsformen und Entwicklungen im Themenfeld beobachten,
Lösungsansätze für die Bildungsarbeit bieten und als zentrale Anlauf-, Transfer- und Beratungsstelle für alle Akteur*innen im Themenfeld dienen wird. Die Mehrheit der geplanten Bildungsveranstaltungen der Träger und die nächste Fachveranstaltung werden ab dem kommenden Jahr 2021 bundesweit angeboten und können in Kürze über die Website eingesehen werden.
Moderatorin Andrea Dernbach vom Tagesspiegel appelliert in ihrem Schlusswort an Wissenschaft und Medien, dem Thema Antimuslimischer Rassismus künftig mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
